61 / 100 SEO Punktzahl

 Fluchtgedanken

Am Bodensee wurden dem jungen Ehepaar Scheurmann drei Kinder geboren. Alle drei starben bald nach der Geburt. Das überstieg die seelische Kraft der Eltern. Ein Gedanke begann sich festzusetzen: Flüchten, um sich selbst wiederzufinden.

Sie suchten einen Münchener Freund auf, der einige Jahre in Samoa gelebt hatte und begeistert von den tropischen Inseln im Pazifik erzählte. Erich Scheurmann fing Feuer. In seinem Buch: „In Menschenspuren um die Welt“, indem er von seinen Reiseerlebnissen berichtet, schreibt er: „Einmal zurückkehren können an die Quelle alles Daseins, zu Menschen, die noch den Uratem der Schöpfung in sich tragen, die noch „wild“ sind, das heißt ungemodelt und unbereitet und ungefärbt.“

Der Zufall kommt Erich Scheurmann in Gestalt seines Berliner Verlegers Gustav Grote zu Hilfe. Er kam auf Autorenfahrt aus der Schweiz bei Ihm vorbei.
„Was schreiben Sie?“ wollte er wissen.
„Ich male“ war die Antwort. „Warum schreiben Sie nicht?“ – „Weil mich nichts dazu treibt.“ Scheurmann erzählte dann von der Südsee, als ob er Sie bereits kenne. Der Verleger hörte aufmerksam zu.

Das wäre ein Stoff, zumal großes Interesse an den deutschen Kolonien bestand. Am nächsten Tag bot ihm der Verleger einen Vorschuss für eine Südseegeschichte. Scheurmann war wie benommen Er verschleuderte seine Bilder um die Reisekasse aufzubessern. Seine Frau wollte ihn begleiten, aber der Arzt riet ihr dringend ab.

So beschlossen sie, sich auf ein Jahr zu trennen. Agnes wollte sich in der Zwischenzeit weiter zur Tänzerin ausbilden lassen. Wenige Wochen später am 7. April 1914 bestieg Erich Scheurmann in Bremerhafen den Reichspostdampfer Scharnhorst.

13.147 Seemeilen trennten Ihn vom Ziel seiner Wünsche. Am 25. Juni betrat er zum ersten Mal den Boden Samoas.

Reichspostdampfer Scharnhorst
(© Wikipedia, via CreativeCommons)

Das Erlebnis Samoa

Apia, Samoa 1914 (© Familienarchiv)

Zwei Dorfjungfrauen.
( in: Erich Scheurmann: „Samoa – Ein Bilderwerk“)
Horn in Baden 1926

Samoa ist eine Inselgruppe im südlichen Pazifik, die aus zehn größeren und einigen kleinen unbewohnten Inseln besteht. Großbritanien, die USA und das Deutsche Reich hatten hier um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Handelsniederlassungen gegründet.

1899 erfolgte die Teilung der Inselgruppe in Ost- und Westsamoa. Dabei ging Ostsamoa in den Besitz der USA und Westsamoa in den Besitz des Deutschen Reiches über.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Westsamoa von Neuseeland besetzt, wovon auch Erich Scheurmann in seinem Buch: „In Menschenspuren um die Welt“ berichtet.

1919 wurde Westsamoa als Völkerbunds-mandat unter neuseeländischer Verwaltung gestellt und 1964 in die Unabhängigkeit entlassen.

Samoa wurde das große Erlebnis im Leben des Erich Scheurmann. Er erlernte die klangvolle Sprache des Inselvolkes und nahm Teil an dem Leben jener „kindhaften Menschen reiner Seelenart“, die er auch als „Menschen jenseits der Zeit, jenseits der Kunst und fern von Haben und Habenwollen“ bezeichnet.

Er erlebte die Inseln mit ihrem üppigen tropischen Wachstum als „Urbild der Schöpfung“ und empfand sich als „begnadet, als ein Kind des Maschinenzeitalters diese Paradies vor seiner sicheren Vernichtung noch erleben zu dürfen“.

Der Tagebuchroman „Erwachen“

.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die Besetzung der Inseln rissen auch Scheurmann aus seinen Träumen. Zurück in die Heimat konnte er nicht. Die Verbindungen waren abgebrochen. Zunächst wurde er von einem jungen Baron in sein Haus auf genommen, der hier mit seiner Frau ohne jede Kenntnis eine Farm bewirtschaftete und dabei sein Vermögen einbüßte.

Die in seinem Erinnerungsbuch geschilderte Episode lieferte ihm später den Stoff zu dem Tagebuchroman „Erwachen“ Hier schildert Erich Scheurmann die Entwicklung einer jungen Frau, die ihren als unfähig erkannten Mann nicht mehr zu lieben vermag und sich in den Hausgenossen, einem Maler reiferen Alters, verliebt.

Der verhilft ihr zwar zu vielerlei Erkenntnissen, kann Ihr aber keine Liebe entgegenbringen, da der sich mit seiner in der Heimat weilenden Frau eng verbunden fühlt. Pathos und Sentimentalität des Romans scheinen aus heutiger Sicht aus der Zeit gefallen und überhöht, aber die Randfiguren und das koloniale Umfeld sind treffend und anschaulich geschildert.

Der in einem unlösbaren Gewissenskonflikt geratene Maler im Roman verlässt das unglückliche junge Ehepaar wie auch Erich Scheurmann seine Gastgeber. Er versuchte sich hinfort mit seiner Malerei weiter durch zu bringen. In seinem Erinnerungsbuch erwähnt Scheurmann Portraits von jungen Insel-schönheiten und Landschaftsbilder, die er verkaufte. Schade, dass  sie  heute auch in Reproduktionen nicht mehr aufzufinden sind.